Du hast noch nichts ausgesucht, sagt das System.

Du hast noch nichts ausgesucht, sagt das System.
Warum sind Burkas eigentlich blau? Mit dieser Frage fing alles an, damals, 2002. Eine Reise nach Afghanistan, ein Workshop im dortigen Institute of Learning Music. Auf Einladung des Goethe-Instituts wollten Frank Fenstermacher und Kurt Dahlke von Fehlfarben und a certain frank und die Schlagzeugerin Saskia von Klitzing, ebenfalls von Fehlfarben, bei FM Einheit und chicks on speed, die Grundlagen des Pop vermitteln. Doch fast niemand wollte Schlagzeug lernen – bis auf die einzige, zufällig anwesende Frau, Nargis. Ein paar Drumschläge später war sie geboren: die erste Girlband Afghanistans, Burka Band. Mit Klitzing, Fenstermacher und Dahlke als Geburtshelfer*innen.
Der Text zur ersten Single, “Burka Blue” entstand auf einem Ausflug ins Hinterland. Fragen der deutschen Gäste brachten Gewissheiten ins Wanken: “Viele Dinge nimmt man so wie sie sind, aber man hinterfragt sie nicht mehr”, meint Nargis. Warum ist die Burka blau? Woher weiß man, wer darunter steckt? Und warum muss man sie eigentlich tragen? Zurück in Kabul war der Text geschrieben und auch ein Video schnell aufgenommen – und wurde zur weltweiten Sensation mit Plays bei den großen Musikfernsehkanälen, einem Auftritt auf der Popkomm vor Fehlfarben und Blumfeld und Berichten über Burka Band in der ganzen Welt.
2003 verschlug es Sängerin Nargis nach Freiburg – wo sie sich darüber amüsierte, wie statt der Burka in der Werbung und auf Magazincovern das Primat der leichten Bekleidung herrschte. “Das war ein kleiner Kulturschock”, erzählt sie lachend, “vom Burkaland nach Freiburg!” Inspiriert davon entstand gemeinsam mit Saskia von Klitzing und Frank Fenstermacher die zweite Single von Burka Band, “No Burka!”
„Naked boys and girls are selling news and cars and toys” registriert Nargis, bevor eine traditionelle afghanische Aufnahme einsetzt. 2004 erschienen dann beide Singles auf Gudrun Guts Label Monika Enterprise in Berlin, gemeinsam mit einem “Burka Blue”-Remix von Barbara Morgenstern und einem “No Burka!”-Remix von a certain frank.
Oder war doch alles ganz anders? Es ist ein bisschen wie bei der Burka selbst: niemand weiß so genau, wer darunter steckt. Sängerin Nargis zum Beispiel heißt eigentlich ganz anders, aber möchte ihren Namen auch heute noch geheim halten: “Meine Familie weiß bis heute nichts davon, Burka Band ist ein Abenteuer nur für mich!” Das Wesen der Burka drehte die Band auf den Kopf: statt Symbol der Unterdrückung wurde sie zum Werkzeug der Befreiung und des Empowerments – die Musiker*innen blieben unter der blauen Burka anonym und konnten so singen, tanzen und sagen, was sie wollten, ohne Repressalien für sich oder ihre Familien befürchten zu müssen. Eine kleine Scharade, ein Spiel mit den Sehgewohnheiten und eine kleine Frechheit, gegenüber jenen, die afghanische Frauen unterdrücken, genauso wie jenen, die in ihnen immer nur Opfer sehen wollen.
Nun folgt das vielleicht letzte Kapitel von Burka Band: “Es wird wieder ernst”, erzählt Frank Fenstermacher. Denn diesen Januar folgt nach fast zwei Jahrzehnten die dritte Single von Burka Band, “I CARE FOR YOU” auf dem Staatsakt-Sublabel Fun in the Church, auf einer 7”-Vinyl mit dem gesammelten Werk der Band. “Oh it’s true, the burka still blue / because I care for you / you can only see my shoe”, singt Nargis, “first I took off my burka / but only to wear a mask”.
Denn nach Burka und nach Nacktheit folgt diese seltsame pandemische Welt, in der wir uns alle vermummen, ob in Kabul, New York oder in Berlin – allerdings weder als Zeichen von Unterdrückung, noch von Freiheit, sondern als Akt der Fürsorge. Tragik und Komik, Hand in Hand. Was letztendlich doch genau den Kern von Burka Band trifft.
Parallel arbeiten die Videojournalist*innen Anna Huix aus Barcelona und Nono Ayuso aus London an einer Dokumentation zur Burka Band. “Wir schließen das ganze ab mit einem Dokumentarfilm”, erzählt Nargis.
Was bleibt? Eine Idee von dem, was sein könnte. Denn wie es in Afghanistan weiter geht, bleibt angesichts der vermeintlichen Friedensverhandlungen mit den Taliban offen. „In der Politik verzichtet man als erstes gerne auf ‚Luxus‘ wie Frauenrechte“, befürchtet Nargis. Sie erhofft sich dennoch, dass von den Entwicklungen der letzten Jahre und der Erinnerung an die Burka Band etwas bleibt: „Ich wünsche mir, dass wir alles, auch Religion und Kultur, hinterfragen und das Männer aufhören, Frauen alles vorzuschreiben. Man sollte keinem Menschen sagen, was sie zu tun haben.
Ob hier – oder drüben in Afghanistan!“
Sie und ihre anonymen Mitstreiter*innen schließen mit „I CARE FOR YOU“ eines der wunderbar mysteriösesten Kapitel der Popgeschichte. Denn die Burka Band hat die Öffentlichkeit nie gebraucht, die Welt aber die Burka Band vielleicht umso mehr.
(Aida Baghernejad)
„I Care for you“ on YouTube: https://youtu.be/wSo5_aab0kY
1- I Care For You
2 - Burka Blue
3 - No Burka!
Lieferzeit | 2-3 Tage |
---|---|
Artikelart | 7"-Vinyl |
Künstler | Burka Band |
Label | Fun in the Church |
Ersch.-datum | 05.03.2021 |