Es war Nicolas Sturm vor über einem Jahr bei der Titelgebung seines
zweiten Studioalbums Angst Angst Overkill sicher nicht bewusst, in was
für eine Angst-besetzte Zeit er mit der Veröffentlichung seines Albums
im Jahre 2016 hineingeraten würde.Aber nun, it is what it is. Angst
Angst Overkill handelt vom stylischen Jammerlappen, dem ideelen
Gesamt-Wimp, der zum einen so viel mit seiner Innerlichkeit beschäftigt
ist, um andererseits so viel Zeit vor dem Spiegel zu verbringen, dass es
auf der Straße so gar nicht nach Spiegel aussieht, sondern wie mal eben
lässig hingeschlunzt. Jeder Kommentar bei Facebook sitzt. Jedes Hashtag
am Puls der Zeit. Jedes Bild bei Snapchat spontaner als das Leben
selbst. Von Menschen, die heulen, wenn sie ihr doofes Ladekabel nicht
finden, um in der Nacht nochmal postironisch in der Augmented Reality
Pokemons zu jagen oder den nächsten Discogs-Kauf zu tätigen: Ja,
richtig. Dieses Album handelt von uns.Aber es geht Nicolas Sturm dabei
nicht um Hipsterbashing und Luxus-Probleme der Großstädter, sondern um
die Formulierung eines allgemeinen Unbehagens vor dem Hintergrund einer
zunehmenden Erosion von Sinnzusammenhängen, dem erneut anwachsenden
gesellschaftlichen Zug zur Barbarei, wucherndem Fremdenhass und immer
diffuser werdender Zukunftsängste - überall. Stilistisch hat sich der
Lindenberg-Preis-Gewinner von 2012 (Panik-Preis, sic!) vom
Blues-orientiertem, minimalen Garagen-Sound seines Debüts verabschiedet
und seine Liebe für den britischen Sound der 80erJahre wiederentdeckt:
Wave-Bässe, Twang-Gitarren und Synth-Flächen lassen einen an die
goldenen Zeit von Creation-Records denken, natürlich an The Smiths, an
The Cure oder an Pulp, um auch mal eine Band ohne „The" davor zu denken.
Aber auch eine 50er-Jahre Vorstadt-Romantik liegt in diesen Liedern. Im
Timbre seiner Stimme. So wie es einen Morrissey sicher auch nicht ohne
den Schmalz eines Roy Orbison oder Buddy Hollys gegeben hätte. Sturm
stellt im melancholischen Wohlklang mit seiner Band auf Angst Angst
Overkill die zentralen Fragen: Wohin mit dem Hass und treffen wir uns
heute Abend?! Und wie geht es weiter. So gesamtgesellschaftlich gesehen.
Dass es auch auf Angst Angst Overkill keine Antwort auf die großen
Fragen der Gegenwart gibt, versteht sich von selbst. Aber Sturm weiß,
das große Unbehagen in seiner Musik aufzuheben.
Und schafft
somit etwas, was in diesen Zeiten wichtiger scheint als je zuvor: Ein
zärtliches, solidarisches Gefühl von Gemeinschaft. Auf dem Album für zu
Hause und live in den Clubs.
Tracklisting:
01 Angst Angst Overkill
02 Lichtjahre
03 Das Ende
04 Im Land der Frühaufsteher
05 Das Leben das du führst
06 Tanzen auf Ruinen
07 Alaska
08 Ich will alles (was ich sage auch so meinen)
09 Nach der Revolte
10 Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt